Falk Zwo – Leseprobe

Wollen wir einmal einen Blick in den Roman werfen? Ihr wollt ja sicherlich nicht die „Katze im Sack“ kaufen, oder? Also fangen wir ganz vorn an. Der Epilog startet da, wo der Epilog aus Praha endet. Falk, Claudia und Chris machen sich auf den Weg von Brüssel nach Genua. Hinter Ihnen liegt die Gründungsveranstaltung der EU-Cybertaskforce. Jetzt wartet auf sie eine neue Herausforderung…

Auf dem Weg zum Brüsseler Flughafen dozierte Claudia über das Programm der kommenden Wochen: „Wenn wir in Genua angekommen sind, beziehen wir zunächst unsere neuen Büroräume und treffen uns mit Melucci, Alescio, Cattabiani und den Neuen. Übermorgen haben wir einen Direktflug nach Prag und schauen uns die Spedition Corsten noch einmal etwas genauer an. Die tschechischen Kollegen erwarten uns um 12:00 Uhr. In ein paar Wochen geht es für dich nach St. Augustin zur Bundespolizei zum Crashkurs „Wie halte ich eine Waffe richtig herum?“.

Beim letzten Satz hatte sie Falk angeschaut, der gedankenverloren aus dem Autofenster auf die Vororte von Brüssel blickte: „Hallo? Jemand zuhause?“

Falk zuckte zusammen: „Was? Wer? Ich?“

Claudia legte den Kopf zur Seite: „Wo bist du mit deinen Gedanken?“

„Keine Ahnung. Ist momentan eine ereignisreiche Zeit. Mir geht vieles durch den Kopf.“

„Möchtest du zurück in dein altes Leben?“, fragte Claudia mit einem einfühlsamen Unterton.

„Die Frage stellt sich eigentlich nicht. Zurück wollen und können sind zwei Paar Schuhe. Mein altes Leben war eigentlich ganz okay. Und worauf ich mich jetzt eingelassen habe, ist mir noch nicht so recht klar.“

„Eigentlich ist ein Füllwort“, mischte sich Christian Berger in die Unterhaltung ein, „und der Falk Hoffman, den ich kenne, hat immer gesagt: Eine Entscheidung soll sorgfältig abgewogen sein und danach nicht mehr in Frage gestellt werden.“

„Recht haste“, nickte Falk, „nur sind mir leider ein paar Entscheidungen abgenommen worden, die ich so nicht in meiner Lebensplanung gefällt hätte.“

Falk dachte hierbei vor allem an den Verlust von Katharina, aber auch an die Aufgabe seiner Firma – seinem persönlichen Lebenswerk. Sicher, sie trug zwar derzeit noch seinen Namen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis seine ehemaligen Angestellten das IT-Systemhaus nach ihrem Gutdünken umstrukturieren und dem kleinen Unternehmen den eigenen Stempel aufdrücken würden. Die Namensänderung in „AIXTension“ war bereits beschlossene Sache. Jetzt war er technischer Leiter der neu gegründeten EU-Taskforce gegen die organisierte Computerkriminalität und Chef über gut fünfzig Mitarbeiter aus verschiedensten Fachgebieten und Ländern der europäischen Union. Nun, den Chefposten teilte er sich genau genommen mit Claudia Rinaldi, die gerade in der italienischen Spezialeinheit Raggruppamento Operativo Speciale – ROS – um ein paar Ränge nach oben auf der Karriereleiter geklettert war. Bald würde sie sicher die Stufen noch weiter nach oben stolpern.

Die Zugehörigkeit zur ROS war jedoch nur formal, denn Claudia hatte die polizeiliche und Falk die technische Führung der Taskforce übernommen. Für ihn hatten sie noch keine griffige Job-Description oder einen prägnanten Titel gefunden.

Die ideale Unternehmensform ist ein Ein-Mann-Betrieb, hatte Falk immer mal wieder von sich gegeben, wenn er mit seinen Mitarbeitern haderte. Und die Macht zu teilen, war eigentlich nicht sein Ding. Aber er teilte mit Claudia nicht nur die Führung eines „Unternehmens“, sondern auch das Bett. Aus der heißen Affäre hatte sich eine echte Liebesbeziehung entwickelt, die nun langsam, aber sicher aus der ersten Phase des Verliebtseins in den Alltag übergehen sollte.

Falk hatte sein Haus in Aachen verkauft. Zu viele Erinnerungen an Katharina lebten in den Mauern weiter und hätten ihn immer wieder zwischen dem Hier und Jetzt und der Vergangenheit hin- und hergerissen. Und außerdem: Was sollte er noch mit einem Haus in Aachen, wenn er von nun an von einer europäischen Hauptstadt in die nächste pendeln und sein Lebensmittelpunkt – wenn es denn einen geben sollte – in Genua liegen würde?

Sie hätten praktisch jeden Ort innerhalb der EU wählen können. Dass ihr Hauptquartier in der italienischen Hafenstadt aufgeschlagen wurde, war wohl zur Hälfte einem gewissen Pragmatismus und zur anderen Hälfte einer Portion Sentimentalität geschuldet. In Genua hatte alles angefangen und hier waren die Fäden der Operation zusammengelaufen, sowohl bei ihnen als auch bei den Verbrechern. Nach kurzer Suche hatte Claudia ein recht neues Gebäude im Hafen gefunden, welches nicht nur genügend Büroräume hatte, sondern auch im Erdgeschoss eine geräumige Halle aufwies. Hier konnten sie ihre Fahrzeuge und Ausrüstung unterbringen und, falls es ein Auftrag erforderte, auch größere Asservate wie beispielsweise Autos zur Analyse auseinandernehmen. Die Halle war großzügig geschnitten und konnte leicht durch zusätzliche Wände in einzelne Segmente separiert werden. Auf der Rückseite gab es große Fensterflächen, die einen uneingeschränkten Ausblick auf die Hafenanlage gewährten. Im ersten Geschoss gab es mehrere große Räume, die sich ideal für Großraumbüros und Konferenzräume eigneten. Die oberen Etagen hatten mehrere große Büroräume, die von Mitarbeitern genutzt werden konnten, die lieber in Ruhe ohne den Lärm und das Gewusel eines Co-Working-Spaces arbeiteten.

Falk und Chris waren sofort begeistert, als Claudia sie durch die neue Location führte. Als Falk die große Halle betrat, hatte er sofort hunderte Ideen zur Gestaltung und zur Nutzung: „Was haltet ihr davon, wenn wir hier unten einen Fitness- und Workout-Bereich mit einem Boxring, einem Badmintonfeld und Kraft- und Fitnessgeräten einrichten? An den Rand könnten die Umkleiden inclusive Duschen kommen, dann schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe. Wir hätten so die Möglichkeit, dass sich   die Mitarbeiter für oder nach Einsätzen umziehen und in Leerlaufzeiten Sport treiben und sich fit halten könnten.“

Chris stellte sich vor Falk und malte ein großes Kreuzzeichen mit seiner Hand vor Falks Gesicht: „Verschwinde, du Teufel, aus meinem Freund Falk! Ausgerechnet du willst im Büro ein Fitnessstudio? Das ist dann aber nur für die anderen, nicht wahr? Nicht für dich.“

„Blödmann“, rief Falk, schubste Chris von sich weg und nahm die Fäuste hoch.

Innerhalb von zehn Sekunden lag er auf dem Rücken und Chris kniete lachend über ihm: „Da musst du noch verdammt viel trainieren, damit du mich schlägst.“

Claudia verdrehte mal wieder die Augen: „Jungs, aufhören, wir sind nicht zum Vergnügen hier. Kann ich euch noch den Rest des Gebäudes zeigen oder wollt ihr euch weiter wie die Affen rumbalgen?“

Chris half Falk auf die Beine: „Also ernsthaft. Ich finde Falks Idee gut. Wenn wir ein SWAT-Team hier etablieren wollen, müssen sich die Leute fit halten können und den Computer-Fritzen tut ein bisschen Bewegung sicher auch gut.“

„Sag ich doch. Komm, lass uns lieber gehorchen, sonst legt uns Claudia gleich beide aufs Kreuz“, schmunzelte Falk. „Und eines Tages kriege ich dich!“ „Träum weiter!“, lachte Chris.

„Jungs!“ Claudia führte die beiden durch die anderen Etagen und am Ende waren sie sich einig: Gekauft.

Ein Teil der Truppe, die die Betrüger zur Strecke gebracht hatten, wechselten von der Guardia di Finanza aus dem Container-Terminal zur Taskforce und Claudia befand, dass Genua mit seiner Verkehrsanbindung zu Wasser, in der Luft und auf der Straße optimal gelegen war. Damit gehörte sie neben Francesco Melucci und Frederico Alescio zu den wenigen, die nicht umziehen mussten.

Auch Falk musste nicht wirklich umsiedeln, denn er hatte in den vergangenen Monaten sein Quartier in Claudias Wohnung bezogen. Sofern er denn nicht in der Welt umhergereist war, um bezüglich der Chip-Geschichte Rede und Antwort zu stehen oder seine persönlichen Angelegenheiten in seiner alten Heimat zu regeln.

So hatte er offiziell Abschied von Katharina nehmen und in einer Mischung aus Beerdigungszeremonie und Wiedergeburtsparty seinen Freunden erklären können, was ihm und seiner Frau denn nun tatsächlich zugestoßen war. Dass Falk bei dem Anschlag nicht ums Leben gekommen war, hatte Christian zwar kurz nach dem „Unfall“ dem engsten Kreis mitgeteilt, doch ihn leibhaftig in ihrer Runde wiederzusehen, mit ihm um Katharina zu trauern und sich über seine „Auferstehung“ zu freuen, hatte ein anderes Kaliber.

Falk nutzte das Treffen dann auch konsequent dafür, um sich von seinen Freunden zu verabschieden. Er ahnte, dass ihn seine neue Aufgabe weit weg von seinem früheren Leben und Umfeld in ganz neue Gebiete führen würde – und dies nicht nur räumlich. Einen Vorgeschmack darauf hatte er bei der gemeinsamen Verbrecherjagd mit Claudia bereits erhalten und – wenn er ehrlich war – es hatte ihm gefallen.

Jetzt saß er mit Claudia und seinem Jugendfreund Christian in einer schwarzen Limousine, die sie ohne Umwege über den Check-in auf das Rollfeld des Flughafens Zaventem brachte. Ein Learjet stand schon mit laufenden Turbinen bereit und der Mercedes hielt direkt vor der ausgefahrenen Treppe des Bombardier 31A.

Beim Blick auf den Jet brach Falks Schalk wieder durch: „Sag mal M, ich bin doch jetzt so eine Art James Bond mit EDV-Kenntnissen. Haben wir auch einen Q, der mich mit den ganzen technischen Spielereien ausstattet, die man als Geheimagent von Welt so braucht? Aston Martin hat da gerade ein ganz neues Modell auf den Markt gebracht.“

„Wenn du mich noch einmal mit diesen schrulligen alten Geheimdienstchefs der Briten vergleichst, dann reiße ich dir deinen Allerwertesten so auf, dass der Aston Martin darin wenden kann“, fauchte Claudia, griff ihre Tasche aus dem Kofferraum und betrat als erste den Learjet.

„Bei der Stelle Crashkurs-im-Waffe-richtig-herum-halten habe ich ehrlich gesagt nichts von einem Aston Martin gehört. Das machte eher den Eindruck von Generation Golf“, haute Christian grinsend noch in dieselbe Kerbe und folgte Claudia.

„Jetzt sagt nur noch, an Bord gibt es keine gerührten Martinis“, murmelte Falk, doch das hatten die beiden schon nicht mehr gehört, denn der Pilot ließ die Turbinen in diesem Moment hochdrehen. Und während der Flugbegleiter die Gangway einfuhr und die Tür verriegelte, rollte die Maschine zur Runway 07L. Ihr Slot für den Takeoff nach Genua war noch exakt zwei Minuten offen.

Neben dem Learjet parkte ein Airbus A 330-200 der Airline Etihad Airlines, der mit mehrstündiger Verspätung aus Jakarta eingetroffen war. Die ersten Passagiere verließen gerade über die Gangway die Maschine. Nupaky war Passagier Nummer 12 und registrierte bei dem kurzen Weg von der Treppe zum bereitstehenden Bus beiläufig die drei Personen, die aus der Limousine in den nebenan stehenden Learjet stiegen.

Nupaky hatte beschlossen, in die Offensive zu gehen. Das Trojaner-Netzwerk war für ihn und Bertolli unerreichbar geblieben und nutzlos geworden. Sie waren mit der Starship von den Kapverdischen Inseln am Kap der guten Hoffnung vorbei nach Indonesien bis zu einer verschlafenen Inselgruppe östlich der Hauptstadt Suva der Fidschiinseln gefahren. Dort lag die kleine Privatinsel, die Nupaky als Zufluchtsort gekauft hatte.

Das Nichtstun verlor vor allem irgendwann seinen Reiz, wenn man dazu verdammt war und den Zustand nicht selbst verändern konnte. Hätten sie sich final auf der Insel niedergelassen und ihren Lebensstil an die lokalen Gegebenheiten angepasst, könnten sie von ihrem „Gewinn“ bis ans Ende ihrer Tage leben – wichtig war, nicht aufzufallen.

Aber diese Form des Nichtstuns war Nupaky zuwider. Nun stand zudem auch noch die Regenzeit bevor.

Er war daher nach Europa aufgebrochen und wagte sich in die Höhle des Löwen. Formell hatte er während der heißen Phase des Trojaner-Angriffes nur eine Auszeit von seinem offiziellen Job genommen. Nun wollte er dorthin zurückkehren, um einen neuen Ansatz zu starten und natürlich um – letztlich wieder mit einem illegalen Geschäft – unermesslich reich zu werden. In erster Linie wollte Nupaky aber auch in Erfahrung bringen, warum ihr Plan gescheitert war und wer ihn vereitelt hatte. Bertolli konnte ihn nicht begleiten. Sie wurde per internationalem Haftbefehl gesucht und ohne Gesichts-OP und einer neuen Identität würde sie sich nicht wieder in die Zivilisation trauen können. Retti hatte sich ausbezahlen lassen und versuchte sein Glück auf eigene Faust. So blieb Bertolli auf der Starship zurück und Nupaky kam nach insgesamt 24 Stunden Flug- und Wartezeit ziemlich übernächtigt in Brüssel an. Am nächsten Morgen würde er sich wieder an seiner alten Wirkungsstätte einfinden und seinem offiziellen Job nachgehen.

Die kleine Gruppe, die er nach dem Einsteigen in den Bus noch gelangweilt beobachtete, bestand aus einer Frau und zwei Männern. Die Frau war schon auf der oberen Stufe der Gangway zum Learjet und einer der Männer folgte ihr lachend. Nun griff auch der zweite Mann seine Tasche aus dem Kofferraum und rief den beiden offenbar etwas hinterher. Für einen kurzen Augenblick konnte Nupaky das Gesicht des Mannes sehen.

Er erstarrte und wurde bleich. Das konnte nicht sein. Das war doch – Nein, Hoffmann konnte das nichts sein. Der war doch tot.

Wenige Augenblicke später hatte sich der Mann dem Learjet zugewendet und war den beiden anderen Personen in die Maschine gefolgt. Die Tür wurde geschlossen und der Learjet von einem Pusher zurückgeschoben. Nupaky war so in Gedanken versunken, dass er beinahe stürzte, als sich kurze Zeit später sein Bus in Bewegung setzte und die Fluggäste zum Terminal beförderte. Nupaky war sich sicher: Er hatte Hoffmann gesehen. Lebendig. Das musste er sofort überprüfen.

Am besten geben wir die Infos direkt an Daisy weiter, hatte er überlegt und Bertolli informiert.

Falks Witz über die fiktiven Figuren M und Q aus Ian Flemings James Bond-Vorlagen war übrigens gar nicht so weit hergeholt. Natürlich brauchte auch die Taskforce Ausrüstungsgegenstände aus allen technischen, polizeilichen und militärischen Bereichen, also dem Aufgabengebiet von Q und einen strategischen Kopf M.

Das M ihrer Taskforce war tatsächlich Claudia Rinaldi, aber sie war nur in militärischer Sicht Falks Vorgesetzte. Und Falk war alles andere als ein mit übermenschlichen Fähigkeiten gesegneter, unverschämt gut aussehender Frauenflachleger. Er war eher eine Mischung aus Q und MacGyver, witzig, durchaus attraktiv, aber – was viel wichtiger wahr – mit einem sehr fundierten technischen Wissen in der Breite und in vielen IT-Feldern auch mit der nötigen Tiefe ausgestattet.

Die gemeinsame Schnittstelle zwischen Claudia und Falk war der kriminalistische Scharfsinn und die bei beiden ausgeprägte Technikaffinität. Auch bei Claudia machten die Computerkenntnisse nicht unmittelbar nach der Bedienung von Facebook schlapp, sondern sie verstand eine ganze Menge von dem, was sich hinter der schrillen und bunten Welt des World Wide Web verbarg. Es sollte sich noch zeigen, ob die Computer für sie Freund oder Feind waren und ob sich die Überschneidungen ihrer Fähigkeiten und Aufgabengebiete zu einem Kompetenzgerangel und einem Machtkampf oder tatsächlich zu einer zielführenden Symbiose entwickeln würden.

Christians Aufgabe bestand neben der Koordination mit den deutschen Polizeibehörden und dem Atlas-Verbund in klassischer Polizeiarbeit vor allem im aktiven Dienst an der Waffe und am Mann. Durch seinen bisherigen Job als Personenschützer hochrangiger deutscher Politiker hatte er neben einer fundierten paramilitärischen Ausbildung ein besonderes Gespür für Gefahrensituationen und Details. Eigentlich war er der James Bond der Truppe.

Falk griff auf dem Flug über die Vogesen das Thema Ausrüstung noch einmal auf: „Jetzt mal im Ernst: Ich habe mir über das Thema Dienstwagen mal so meine Gedanken gemacht. Wir brauchen tatsächlich etwas, was nicht nur Spaß macht oder uns von A nach B bringt, sondern Autos, die etwas draufhaben.“

Claudia feixte: „Also, wenn ich mal den Bürokraten raushängen lassen darf, dann kommen aufgrund der Deutsch-Italienischen Führung der Taskforce nur Volkswagen und FIAT in Betracht.“

Falk grinste: „Einverstanden. Jetzt kannst du wählen: Ferrari gehört zum FIAT-Konzern und Volkswagen hat Bugatti, Lamborghini, Audi und Porsche im Portfolio. Und Alfa Romeo wäre auch eine Option. Die Gulia ist bildschön und 500 PS reichen für die Stadt.“

Claudia schnitt eine Grimasse.

„Wenn ich hier mal vermitteln darf“, schaltete Christian sich in den sich anbahnenden Disput ein. „Wir sollten schon etwas unauffälligere Fahrzeuge wählen. Wenn wir mit einem 12-Zylinder Ferrari oder einem Murciélago vorfahren, ist uns die Aufmerksamkeit jedes Halunken sicher.“

„D’accordo“, sagte Falk und verfiel mal wieder ansatzweise in das babylonische Sprachgewirr, welches die Kommunikation in der Taskforce charakterisieren würde. „Wir brauchen meiner Meinung nach Autos, die nach Golf aussehen, aber bei Bedarf die Musik eines Sportwagens unter der Haube haben. Und ein paar nützliche Gimmicks wie drehbare Nummernschilder, Maschinenpistolen und Nebelwerfer.“

Claudia verdrehte die Augen: „Vergiss es!“

„Na so ganz unrecht hat er nicht“, bemerkte Christian und holte die technische Beschreibung eines BMW X5 hervor, der von einer Spezialfirma zu einer rollenden High-Tech-Festung umgebaut wird.

Secure-Guardian-Cars ist darauf spezialisiert, Fahrzeuge für den Personenschutz umzubauen. Wir haben da konkurrierende Anforderungen: Zum einen müssen die Fahrzeuge gepanzert sein, um einem Beschuss mindestens mit einer MP zu widerstehen und zum anderen müssen sie dennoch so leicht und wendig sein, dass man mit ihnen auch mit hoher Geschwindigkeit flüchten kann.“

Falk war ganz Ohr: „Lass mal sehen. SGC X 407 PS – Allrad-Antrieb – DSG – Kevlarhülle und – Leute, das ist das Wichtigste – nicht bei 250 km/h abgeregelt. Kein Diesel. Damit können wir den Halunken dann sogar in die Umweltzonen folgen. Gekauft!“

Falk hatte noch nie verstanden, warum vor allem deutsche Premiumhersteller Autos mit mehr als 300 PS bauten, um sie dann freiwillig auf 250 km/h zu beschränken. Sie bauten Autos mit Leistung zum Abwinken und gegen eine Gebühr von wenigen Tausend Euro und der Teilnahme an einem Fahrsicherheitstraining wurde die Beschränkung von 250 km/h per Software-Update abgeschaltet. Dass danach keine Kopplung zwischen demjenigen bestand, der das Fahrsicherheitstraining absolviert hatte, dem, der das Auto tatsächlich fuhr und dem nicht mehr abgeregelten Auto selbst, interessierte dann niemanden mehr. Scheinheiliges Pack!

Ob es nun ökologisch korrekt war, ein Auto mit mehr als 100 PS zu fahren oder nicht war dahingestellt. Aber in Falks Augen war es nicht erklärbar, warum es überhaupt PKW mit mehr PS gab als zum Erreichen der imaginären 250er-Schallmauer nötig waren, wenn diese als freiwillige Selbstbeschränkung seitens der PKW-Hersteller überhaupt eine Daseinsberechtigung hatten.

Wer 250 nicht beherrscht oder bei 251 in Schwierigkeiten kommt, sollte besser schon keine 200 fahren oder noch besser: erst gar nicht auf die Autobahn gehen. Geschwindigkeitsbegrenzungen waren Falk immer schon ein Dorn im Auge. Jetzt sah er seine Chance gekommen.

„Nicht so schnell!“, wandte Christian Berger ein. „Für so etwas brauchst du eine europaweite Ausschreibung mit verschiedenen Angeboten und einem formalen Vergabeverfahren. Das dauert im günstigsten Fall Monate, wenn nicht Jahre.“

„Nicht ernsthaft!“, rief Falk frustriert. „Wenn das so läuft, brauchen wir erst gar nicht anfangen.“

„Beruhige dich“, mischte sich Claudia ein. „Das ist geklärt. Wir haben die feste Zusage, dass wir in einem angemessenen Rahmen vollkommen freie Hand haben und auf kurzem Dienstweg unsere Ausrüstung einkaufen können.“

Und nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Unsere Chefin hat uns bereits ein Konto mit Spielgeld einrichten lassen, über das wir verfügen können. Wir müssen nur die Belege und Rechnungen nachreichen – soweit möglich.“

„Das heißt, Bestechungsgelder und Handgeld für V-Leute bekommen wir auch darüber?“, fragte Chris nach.

„Yep. Wenn wir es nicht übertreiben, müssen nur große Posten gemeldet werden. Das geht auch nachträglich. Aber natürlich wird irgendwann das Controlling eine Prüfung machen“, führte Claudia weiter aus.

„Ab welchem Betrag gilt übertreiben und wieviel Budget haben wir?“, fragte Falk. Er hatte konkrete Vorstellungen, was allein die IT-Ausrüstung und das Personal in diesem Bereich kosten würden. Er war von rund drei Millionen Euro für das erste Jahr für den IT-Bereich ausgegangen, hatte aber keine Vorstellung davon, was der gesamte Verwaltungsapparat, die Polizeieinheiten oder solch Kleinkram wie Flugbereitschaft und Ähnliches kosten würden.

„Wir haben für die ersten drei Jahre ein Budget von 30 Millionen Euro – vorläufig“, sagte Claudia nicht ohne Stolz, denn das war ihr Verdienst durch ihr beharrliches Verhandlungsgeschick und ein wenig Schützenhilfe von ihrem Onkel, General Cepeda, gewesen.

„Wow!“, stieß Falk anerkennend aus. „Complimenti, Capo! Damit habe ich nicht gerechnet. Das heißt, zwei BMW X5 mit Spezialausrüstung sind angemessen.“

„30 Millionen sind nicht viel für eine ganze Taskforce, wenn ich mal den Spielverderber geben darf. Vor allem, wenn wir davon die Unterstützungsleistung der Polizeieinheiten oder von dort abgestellte Einsatzkräfte bezahlen müssen“, warf Berger ein. Er wusste als deutscher Beamter, wie schnell solche Einsätze astronomische Summen erreichen konnten.

„Das haben wir auf dem Schirm“, sagte Claudia. „Die Zusage lautet, dass wir die Zuarbeit nicht bezahlen müssen und wenn es ein Abrechnungsproblem gibt, will sich die Direktorin einschalten. Ich habe dazu aber bald noch einmal ein Gespräch in Den Haag. Finanziell sollten wir keine Probleme haben – auch privat nicht.“

Falk nickte stumm. Dass sie ohne Kompetenzgerangel und quasi aus der eigenen Tasche die Verbrecher gejagt hatten, hatte ihnen die notwendige Schnelligkeit und Effektivität verliehen. Jetzt mussten sie den Anteil Glück, den sie unbestritten hatten, durch Professionalität ersetzen. Und das kostete nun mal Geld und bei Geld hörte nicht nur in Behörden die Freundschaft auf. Die EU war hierbei geradezu ein Monster schlechter Beispiele. Ob das funktionieren würde?

„Und abnehmbare Blaulichter brauchen wir. Die waren echt geil, als wir von Genua nach Santa Margherita gerast sind.“ Claudia lächelte: „Wann wirst du endlich erwachsen?“ „Hoffentlich nie“, antwortete Falk mit einem spitzbübischen Grinsen.

„Also gut Peter Pan. Ich schlage vor, Christian kümmert sich um die Autos. Von mir aus soll Falk so ein Teil bekommen – mit allem Drum und Dran. Vielleicht haben wir Glück und bekommen die Fahrzeuge sehr zeitnah. Aber zuerst gehst du mit ihm zum Polizeitraining. Wir hatten damals mehr Glück als Verstand. Beim nächsten Einsatz möchte ich nicht allein auf Falks Improvisationsgeschick und Naturtalent vertrauen.“

„Und Motorräder“, ergänzte Falk. „In den Großstädten haben wir damit einen echten Vorteil.“

Falk lies für einen Moment die Szenen in Genua, in Portofino und auf Elba vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen. Während gerade die Italiener und Franzosen in den Großstädten große Kreativität beim Auslegen der Verkehrsregeln und Durchzählen der Fahrspuren – da wurde schon mal eine zusätzliche Fahrspur „aufgemacht“ – an den Tag legten, wurde auf zwei Rädern noch eine Schippe draufgelegt. So jagte ein Rollerfahrer nach dem anderen an den Autoschlangen links und rechts vorbei und es grenzte oft an ein Wunder, dass dies nicht in einer Kaltverformung von Blech und Plastik endete.

„Die GS wäre perfekt“, meinte Christian. „Ideal für die Straße und brauchbar für leichtes Gelände und Schotter. Und die Ausrüstung passt in die Seitenkoffer.“

„Yep. Die du dir dann im dichten Großstadtgedränge abfährst, falls du nicht vorher mit den Zylindern hängen bleibst wie damals in Aachen.“

Falk lachte und Christian wusste sofort, worauf er anspielte. Berger war zu Beginn seiner Polizeikarriere eine Zeitlang mit dem Motorrad Streife gefahren und hatte das ein oder andere frisierte Moped gestellt. Bei einem Jungspund hatte er sich allerdings die Zähne ausgebissen. Der war mit seinem getunten Mofa vor ihm am Aachener Markt zwischen zwei eng stehenden Pollern in eine Gasse geflüchtet und Chris war mit seinem Polizei-Boxer genau zwischen diesen Pfosten hängen geblieben.

„Claudia? Du musst mir unbedingt ein paar von diesen italienischen Schimpfwörtern beibringen!“

Claudia blickte halb belustig halb genervt von Christian zu Falk. Auf was für einen Kindergarten habe ich mich da nur eingelassen.

„Ihr könnt einen Roller haben. Das passt!“

„Na klasse. Womöglich noch mit E-Antrieb und von der EU gefördert“, maulte Falk.

Er hatte nichts gegen Umweltschutz, fand allerdings die ganze Debatte und Hysterie um E-Mobilität nicht zu Ende gedacht. Wo kam nochmal der ganze Strom für die E-Autos her?

Und war es ökologisch sinnvoll, Elektro-Tretroller abends mit einem Diesel-Sprinter einzusammeln und bei der Firma oder bei einem Juicer zuhausean der Steckdose aufzuladen? Gerade gestern war er wieder über so ein herrenlos herumliegendes Teil in der Stadt gestolpert.

Die Maschine setzte zum Landeanflug auf dem Flughafen Cristoforo Colombo in Genua an. Kurze Zeit später saßen die drei in einem Wagen der Fahrbereitschaft der Guardia di Finanza und rasten mit Sirene und Blaulicht durch den Berufsverkehr der Hafenmetropole zu ihrem neuen Büro – Come arrivare a casa.